top of page

Tag 39 - 42 (Bonito)

Am Morgen vor der langen Busfahrt (und trotz der kurzen Nacht verursacht durch Blogveröffentlichung) bin ich voller Energie, mit einem Gefühl grosser Vorfreude und mit einer Lust, die ganze Welt zu umarmen aufgestanden ;) Ich nutzte die Energie, um mir nach einer gefühlten Ewigkeit (Hostal-Frühstücke bestanden bis dahin in Maximalausprägung aus meist lümpeligem Plastiktüten-Toastbrot, praktisch flüssiger Margarine zum drübergiessen, einem Tupperware mit salzigen und einem mit süssen Cookies, künstlichem Multifrucht-Saft sowie je eine Thermosflasche mit warmer Milch und Kaffee) endlich wiedermal ein leckeres Müesli zuzubereiten: Mango, Banane, Sternenfrucht, Maracuja und Pfirsichjoghurt. War super lecker, ich fand, ich hatte es verdient ;) Den Schwung nutzte ich auch, um das bei Barba Gelernte einzuverleiben... die Zeit reichte sogar noch für ein paar Aufnahmeversuche und es gelang mjr tatsächlich ein kompletter Durchlauf: Barbapapas Groove (Teil 1 in 4/4 und Teil 2 in 7/8) Beschwingt machte ich mich auf den Weg zur Rodoviária (Busbahnhof). Der Ticketkauf verlief problemlos, leider aber gabs keinen Fensterplatz mehr. Die übriggebliebene Stunde bis zur Abfahrt verbrachte ich mit Kaffeetrinken und in einem Musikgeschäft mit Didgeridoo-Spielen und Percussions-Instrumente-Ausprobieren. Die erste Busfahrt verlief dann ziemlich reibungslos, ich war überrascht. Die 15 Stunden vergingen wie im Flug. Mein Podcast-Vorrat, ein paar Gespräche mit der ca. 70-jährigen Sitznachbarin sowie der im Bus vorhandene WiFi-Zugang (welcher zwar nur die ersten ca. 90 Minuten funktionierte) boten Abhilfe. Froh war ich um meine warme Kleidung im Handgepäck: Unglaublich, wie sinnlos gekühlt wurde! Die hätten den Strom besser ins Modem umleiten sollen ;) auch froh war ich um meine Schlafausrüstung: Nackenkissen, Augenklappe und vor allem Ohrenstöpsel. Angst hatte ich eigentlich vor den Kindern direkt hinter und neben mir, aber die blieben schön brav... nicht so die vier pensionierten Männer ganz hinten, welche sich seit Jahren nicht mehr gesehen haben müssen und sich die ganze Nacht hindurch eine Pointe an der anderen lieferten. Ohne Alkohol, wohlbemerkt ;) trotzdem konnte ich unter dem Strich ein paar Stunden Schlaf tanken. Der Bus kam mit tatsächlich nur 15 Minuten Verspätung in Campo Grande an, mein Plan ging also auf und ich erwischte den Anschlussbus nach Bonito problemlos. Diesmal ein massiv kleineres Gefährt, dafür mit Fensterplatz ;) Die Landschaft veränderte sich auf der Fahrt merklich, vor allem die für Mato Grosso typische rotbraune, scheinbar speziell fruchtbare Erde fand ich faszinierend. Hier ein paar Eindrücke der Reise:

In Bonito (Fazit vorneweg: Das Dörfchen Bonito selber ist nicht wirklich bonito, aber die Region macht ihrem Namen alle Ehre!) angekommen quartierte ich mich im farbenfrohen Hostal "Bonito Experience" ein. Ich erfuhr von einem nahegelegenen Fluss, welcher sehenswert sein soll. In einem benachbarten Hostal mietete ich mir gleich ein Fahrrad und nahm die 10 km gemütlich unter die Räder. Im "Balneário Municipal" gelangte ich als erstes direkt an den Fluss, wo ich feststellte, dass Baden nur zusammen mit den Fischen möglich ist. Ich dachte mir nichts Böses, im Gegenteil, war gespannt. Während dem Beobachten fiel mir plötzlich ein Ästchen auf den Kopf, ich schaute nach oben und begann zu filmen ;) 

Nach intensivem Austausch mit dem Artgenossen wagte ich mich ins Wasser, kaufte vorher aber noch einen Unterwasserbeutel fürs iPhone und mietete Schnorchel plus Brille. Es lohnte sich, die Fische wagten sich extrem nah heran, vor allem schwimmen sie im Gegensatz zu mir ja stromaufwärts, schön in die Linse ;)  Kurz bevor ich wieder an Land gehen wollte, bot ich meine Hilfe für ein Unterwassergruppenfoto an. Just im Moment des Abtauchens spürte ich einen zünftigen Zwick im linken kleinen Finger und schoss wieder an die Oberfläche... Blut! Mich hatte tatsächlich ein Fisch gebissen! Ich konnte es kaum glauben, sass ich in einem Piranha-Becken?! Vermutlich war die Auslöserin der Attacke eine alte Frau am Flussufer, welche kurz vor dem Foto etwa 3 Meter von mir entfernt irgendwas Essbares ins Wasser warf und den armen Fisch (später fand ich heraus: es waren Piraputanga) wohl dazu brachte, meinen kleinen Wurstfinger als Nahrungsquelle zu missbrauchen. Fluchtartig verliess ich das Wasser, das Smartphone gab ich ohne Foto wieder zurück. Es dauerte ein Weilchen, bis ich mich vom Schock erholte, vor allem weil man zu Beginn das Ausmass meist ja nicht wirklich begreift. Der Fisch filetierte meine obersten paar Hautschichten feinsäuberlich, inkl. Teile vom Nagel. Ganze Arbeit! Mittlerweile ist alles wieder verheilt, sah gar nicht so schlimm aus finde ich, ästhetisch symmetrisch ;) Mir fiel gerade noch ein passender Youtube-Clip ein ;) Ins Wasser wagte ich mich danach nicht mehr, nur für ein paar Handy-im-Wasser-ich-aber-nicht-Selfie-Experimente reichte der Mut noch:

Für den nächsten Tag buchte ich einen Ausflug, Tagwache war entsprechend früh um 6:30 Uhr. Über Holperstrassen führte der Weg zuerst zum "Buraco das Araras", einem riesigen (100 Meter Tiefe, 500 Meter Umfang) Sandsteinkrater, den sich zahlreiche Aras (= Papageie) als ihre Heimat aussuchen. Am Eingang wurde ich darauf hingewiesen, dass meine Flipflops nicht zugelassen seien und ich kriegte ein paar kecke Plastikschlüpfer... Grund: Gefahr vor Bissen, diesmal Schlangen ;) gesehen hatten wir dann aber auf dem ganzen Rundgang keine. Ein kurzer Spaziergang durch den Urwald führte uns an den Rand dez Kraters, der sich eindrücklich vor uns ausbreitete. Die Information des Guides, dass im kleinen See in der Mitte des Lochs Autos, Kühlschränke und Waschmaschinen (ein Teil wurde zwar mit selbstgebastelten Seilwinden wieder exhumiert) baden, machte mich wütend über unsere eigene Rasse, erinnerte mich an die alte Müllhalde in Chapaize und trübte die ganze Idylle leider etwas. Die Aras waren zwar weit entfernt auf Ästen und Felsvorsprünge zu sehen, wagten sich aber nur sehr selten näher heran. So schätzte ich mich glücklich, als ich folgende Vierer-Formation während einem Übungsflug à la Patrouille Suisse einfangen konnte. Auf dem Ausflug lernte ich die beiden Brasilianer Gustavo (links, Peacezeichen) und Luiz kennen und wir verbrachten den grössten Teil des Tages gemeinsam. Ich war sowieso extrem erstaunt, wieviele Einheimische ich an solchen Orten antraf 😳 bei praktisch allen Ausflügen war ich der einzige "Gringo". Dem Portugiesisch hats definitiv etwas geholfen ;)

Es war erst ca. 10 Uhr, doch schon drückend heiss... ich war froh, als wir an den zweiten Ort auf der Route verschoben, den "Rio da Prata". Der Nebenfluss des Rio Sucuri führt gemäss einem internationalen Vergleich das drittsauberste Wasser (es wird von überdurchschnittlich vielen unterirdischen Kalksteinen gefiltert) auf dem Planeten, nach Zamami (Japanische Insel) und den Laghi di Fusine (zwischen Italien und Slowenien). In der Tat war es kristallklar und freudigerweise noch angenehme 25 Grad warm ;) Denn der Plan war, sich in den Fluss zu legen und während zwei Stunden durch die Landschaft treiben zu lassen... mit Shortie, Schnorchel, Brille und iPhone ausgerüstet ging's dann los: es war etwas vom Schönsten und Angenehmsten, was ich je erlebte, nossa! Einfach im Frieden der Welt durch das Wasser gleiten, über grüne Underwassermatten, von zahnlosen Mini-Fischen säubern lassen, über Sand-Eruptionen, vorbei an Fischschwärmen, ... nur ich, der Augenblick and nothing else.

Ich war nach wie vor mit Gustavo und Luiz unterwegs, doch der Rest der Gruppe wechselte auf den Nachmittag. So lernte ich auf dem Weg ins Wasser Guillermo (auf dem Foto rechts hinter mir) kennen, der - Achtung, heb di fescht! - seit vier Jahren in Uster wohnt (arbeitet für eine Handelsfirma), dort regelmässig im Activ Fitness aufkreuzt (wir waren der Meinung, uns dort sicherlich schon Mal begegnet zu sein!), mit dem Velo oft durch Bubikon fährt und Spanier ist... drei mal raten, aus welcher Stadt: klar, Valladolid! Für diejenigen, die nun Stirnrunzeln haben: da verbrachte ich 7 Monate während meinem Erasmus-Auslandsemester. Er ist mit einer Brasilianerin liiert und sie waren hier in den Ferien. Wir konnten es wirklich kaum fassen, mitten in der brasilianischen Pampa... fühlte mich sofort zuhause ;) Zurück im Dorf wollte ich mich auf den nächsten Tag vorbereiten, dem Besuch von "Abismo Anhumas", einer 74 Meter tiefen Höhle mit einzigartigen, riesigen Unterwasser-Stalagtiten. Nachteil: Zugang ist nur über Abseilen möglich! Deshalb muss man sich am Abend vorher einem "Klettertraining" unterziehen. Mein Bauchgefühl war die ganze Zeit schon etwas mulmig, doch die Abenteuerlust stärker. Als ich im Trainingscenter dann erfuhr, dass Tauchen doch nicht möglich sei (erst drei Tage später wieder einen freien Platz), verstärkte sich die Stimmung im Bauch, doch ich ging den Schnorchel-Kompromiss ein und wagte mich ans Trainings-Seil. An der Ausrüstung lags sicherlich nicht, die schien mir äusserst zuverlässig... doch etwa 5 Meter über Boden versagten meine Synapsen, der Körper stellte auf Blockade, nichts ging mehr. Schweissige Hände, Puls auf 200, am liebsten nur noch Augen schliessen und an einen Strand beamen ;) ich kannte ja meine latente Höhenangst, doch so intensiv erlebte ich sie schon Ewigkeiten nicht mehr. Das Gefühl von buchstäblich an einem seidenen Faden hängen - da war einfach kein schützender Halt, weder Turmmauer, Geländer noch Treppe - und der Gedanke an sie schiere Höhe - im Training war das Seil lediglich 8 von den 74 Metern lang - brachten mich an meine Grenze und ich blies die Übung mit einem weinenden und einem erleichterten (mein Bauch wusste es ja schon immer) Auge ab. Am Abend traf ich mich dann mit den zwei frisch vermählten Engländern Ellie und Luis zu einer Runde Caipirinha. Sie lernten die Zubereitung am Tag vorher von einem hiesigen Profi, das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen ;) Kennen lernte ich sie zufällig schon am Tag vorher, wir reisten mit demselben Bus von Campo Grande an. Wir schienen definitiv die einzigen europäischen Backpacker zu sein in Bonito, so verabredeten wir uns solidarisch für den nächsten Tag, um erneut Fahrräder zu mieten und die 2 x 22 Kilometer Schotterstrasse bis zur "Gruta do Lago Azul" durchzutrampen. Alles klappte wie geplant, wir assen einiges an Staub, aber hatten viel Spass in den endlos scheinenden Weiten. Und die Gruta zeigte sich trotz Wolkenwetter von ihrer schönsten Seite, je weiter wir hinein stiegen, desto blauer wurde das Wasser:

Auf dem Rückweg begegneten wir noch einer wild umherlaufenden Herde weisser Kühe (wir tauften sie "vacas locas") und einer Gruppe Nandus. Zurück in Bonito lud ich sie (natürlich nach Rücksprache mit meinem warmherzig-grosszügigen Hostal-Chef Alejandro, rechts aussen auf der Collage) zu einer wohlverdienten Pool-Session ein. Die Staub- und Schweissspuren entfernen war eine Wohltat, vor allem an Beinen und Füssen. Danach gönnte ich mir für unglaublich läppische 13 Franken noch eine 60-minütige Massage sowie ein Abschlussabendessen mit Ellie und Luis. Dass es bereits mein letzter Abend sein wird, stellte sich während der Pool-Session heraus. Denn da lernte ich Marcelo, ein Freund von Alejandro, kennen und buchte mit ihm gleich ab dem nächsten Tag eine viertägige Tour durch den Pantanal, ein 230'000 km² grosses Sumpfgebiet. Die Region reizte mich, seit ich vor x Jahren den Roman "Das Testament" von John Grisham las und als ich nun realisierte, wie nah ich bin und wie direkt auf dem Weg nach Bolivien sie liegt, war der Fall klar. Details dazu dann im nächsten Eintrag ;) 35-grädige Grüsse aus dem Mato Grosso, até mais 👋🏻 

 
RECENT POSTS:

© 2017 by Raphael Baumann

bottom of page