Nach der Veröffentlichung des letzten Blogs liess ich mich noch etwas bambeln in der Hängematte - dies war der Ort mit dem besten Internetempfang im ganzen Hostel, resp. überhaupt mit Empfang. Jede Online-Session von mir fand also ausschliesslich darin statt. Es war bereits nach Mitternacht, als ein Junge mit einem kleinen Filou an der Leine (ich war überrascht, dass Hunde erlaubt waren im Hostal?!) auf mich zusteuerte und fragte: "É você meu amigo?" Soviel Portugiesisch verstand ich bereits und war ziemlich verdattert, diese Frage hatte ich schon seit vermutlich 20 Jahren nicht mehr gehört. Ich lächelte und nickte. Er auch. Der Anfang einer dreitägigen Freundschaft ;) Er stammt aus Santos, Nähe São Paulo, ist 8-jährig, heisst Victor und spricht verblüffend gut Englisch, obwohl er's nur in der Schule lernt. So entwickelte sich unsere Kommunikation zweisprachig, ich versuchte mich im Portugiesisch, er hauptsächlich Englisch... sehr zur Freude seiner Eltern.
Kleine Anekdote vorweg: nicht mehr ganz so erfreut schien Papa am dritten Tag. Er kam mit dem Sohnemann vom Strand zurück, Victor "rannte" zu mir, Papa hinterher und fragte ihn: "Und, was wolltest du nun sagen?" Victor schaut ihn fragend an. Papa kommt zu mir, schlägt mir auf die Schultern (er ist ein Riesenbrocken, überhaupt nichts typisch Brasilianisches, erinnert mich optisch eher an einen Boxer oder Metzger, eine Mischung aus Rainer 'Calli' Calmund und Erdogan, s. unten links am UNO-Tisch ;)) und sagt mit einem etwas verkrampft humorvollen und meines Erachtens irgendwie leicht eifersüchtigen Ton: "Sempre fala Raphael, Raphael, Raphael ...tudo dia!" 🙈 Raphael in Phonetik ist übrigens 'chafaäu' 😂
Im Hostal befand sich noch eine zweite brasilianische Familie mit einem Kind, wir waren also zu siebt. Jede Familie erhielt einen eigenen dormitório, ich ebenfalls ;) hatte mich auf Schnarchen und Wertsachenwegsperren eingestellt, stattdessen kriegte ich sogar den Zimmerschlüssel für meine Achtbettkammer 😅 Das Hostal ist süss und sehr zentral gelegen, die Besitzerin extrem zuvorkommend, ein weiterer Glücksgriff (bis aufs WiFi 🙄). Wir blieben über die ganze Zeit in dieser Konstellation, was sehr angenehm war. So entwickelte sich eine gewisse Nähe: gemeinsame Mahlzeiten (die Mütter kochten, uch servierte Lindt-Schoggi zum Dessert;)), Spaziergänge durchs Dorf, Spielen im Pool und Ausflüge.
Und ausser Victor sprach niemamd English, so verbesserte sich mein Portugiesisch zwangsläufig. Vor allem das Hörverständnis... denn alle sprachen unterschiedliche Dialekte, Marcus lispelte (nicht zu verachten, wie viel schwieriger das ist!) und Portugiesisch ist für mich mit spanischem Background einfach noch immer nicht intuitiv, z.B. spricht man hier "verdade" als "wörtadschi" aus, das "r" amerikanisch im Hals.

Am nächsten Morgen ging es einigermassen rechtzeitig los, denn ich hatte ja eine Mission: Herzstrand aufspüren ;) ich buchte zusammen mit der Familie Mairesse (Marcus, Lais und Tochter Manuela… Victor wollte zwar auch mit, durfte aber nach Rücksprache mit Calli nicht) eine Tour um die nördliche Hälfte der Insel: zum Boot, zu Fuss und mit dem Jeep.
Einschub: die Insel ist mit 350 km2 erstaunlich gross, etwa die Fläche des Kantons Schaffhausen. Ihren Namen hat sie von der Prinzessin Isabela, welche die Insel ursprünglich Ilha Isabela nannte, sie aber danach selber umtaufte, um keinen Zungenbrecher verantworten zu müssen.
Wir passierten prächtige Flecken, Küsten, Dschungel, auch Strände, aber keiner sah aus wie das Google-Bild. Mittagspause fand an dem etwas grösseren Strand "Castelhanos" statt. Der Name stammt vom spanischen Castellano, weil hier die Spanier damals mit dem Entdeckerboot landeten. Vom Boots-Kapitän wurde auf einen Mirador (= Aussichtspunkt) hingewiesen, ich wurde neugierig. Auf knapp 1,65 Meter über Meer erkannten meine Augen bei Ankunft in der Bucht noch nichts Spezielles, aber der Aufstieg zum Mirador war der Beweis: ich hatte mein Ziel bereits erreicht 😂😍 aber seht selbst: hier.
Der Rückweg mit dem Jeep war abenteuerlich, vor allem, als es mit dem nicht vorhandenen Dach noch zu regnen begann 🙈 es regnete sowieso ohne Witz und doppelten Boden jeden Abend, muss sone Art Inselgesetz sein. Im Hostal kochte Lais dann ein leckeres Abendessen (ich würde es als Hähnchen-Stroganoff interpretieren, mit Reis und Salat).
Fazit: es war ein absolut herrlicher Tag! Den Strand hatte gefunden, zu Bett ging ich mit lediglich zwei Mückenstichen und für das Frühstück um 8 Uhr hatte ich noch ein T-Shirt montiert, mich danach eingecremt und den Rest des Tages bis zur Dusche um 23:30 Uhr verbrachte ich in Badehosen and nothing else ;)
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Beim Aufstehen am nächsten Morgen war ich innert der ersten Millisekunde hellwach: ein stechender Schmerz fuhr wie ein Blitz durch meinen Körper, als ich mich auf dem rechten Handgelenk abstützen wollte. Eine Erinnerung an die unsanfte Landung nachdem Ausrutschen auf einer nassen Schieferplatte beim Fussballspielen mit Victor... aber keine Angst, Mama, jetzt - vier Tage danach - ist alles wieder voll funktionsfähig, war nur eine kleine Stauchung, keine langfristigen Schäden ;) zur schnellen Heilung beigetragen hat doch tatsächlich eine Salbe aus der Forever-Küche: Aloe Heat Lotion. Gewisse Leute kennen die Produkte auch in der Schweiz ;)
Marcus und ich nahmen uns an dem Tag vor, früh los zu marschieren, denn wir wollten den mit 1048 M.ü.M. zweithöchsten Hügel "Baepi" der Insel erklimmen. Ich war etwas zögerlich, mich darauf einzulassen, denn Marcus erwähnte im Voraus, dass er pro Jahr mindestens 1 Marathon, ca. 5-6 Halbmarathone und sonstige Thone laufe und Fitnesstrainer mit eigenem Pilatesstudio sei. 😳 Doch erstaunlicherweise war ich beim Aufstieg fitter (vielleicht lags an der Wassermelone zum Frühstück ;), oder an meinem jährlichen Wandertrip mit Manolo und Co.), obwohl ich auch noch den Profiantrucksack mit 1.5L Wasser, Sandwiches, Äpfel, Sonnencrème und Antibrumm schleppte... etwa ab Wegmitte fungierte ich als Zugpferd und die alte Dampflok hinter mir begann immer stärker zu keuchen. Doch wir schafften es, zwar Schnarchtempo und mit gefühlten 30 Pausen, doch es lohnte sich! Von 0 auf 1000 in 2.5 Stunden ;) Die Aussicht war top, und auf dem Gipfel traffen wir noch eine Gruppe anderer Wanderer, welche Freude hatten an meinem Selfie-Panorama-Video ;) 🙈
Ganz so lockerflockig, wie ich es beschrieben hatte, ging die Wanderung schon nicht zu und her ;) ich mag mich nicht erinnern, ob ich vorher in meinem Leben schon mal dermassen schwitzte wie beim Aufstieg... die Luftfeuchtigkeit war zermürbend! Denn praktisch der gesamte Weg verlief durch amazonasartiges Gelände, man konnte Pflanzen, Tiere und Zwischenräume nicht mehr voneinander unterscheiden, alles schien ein grosser Organismus zu sein. Ein richtiges Dschungelambiente, so wie es in Filmen oder Erlebnishallen nachgestellt wird, mit leisem zirpen, quietschen, quaken und pfeiffen, einfach live! Einziger Wermutstropfen am Berg: es gab nur eine Route, so mussten wir den gleichen Weg wieder runter.

Während dem Aufstieg hatte mich etwas penetrant begleitet: die Angst, einer Schlange zu begegnen. Vielleicht lags am Institutsbesuch zwei Tage vorher ;) jede zweite herabhängende Liane oder rumliegende Wurzel hielt ich für eine getarnte Cobra, ohne wirklich zu wissen, ob es die Tiere hier überhaupt gibt. Präventiv repetierten wir die wichtigsten Regeln: Stampfen beim Wandern, Bisswunden in Ruhe lassen, ruhigstellen und Blutzirkulation wenn möglich unterbrechen. Es blieb dann bei lebhafter Halluzination, bis uns auf dem Abstieg eine Familie entgegenkam und aufgeregt von einer Cobra erzählte, die sie kurz zuvor ca. 2 Meter entfernt sahen, züngelnd und mit aufgeklappten Halsklappen. In allem Ernst eine COBRA! Ich dachte, ich sei im falschen Film. Wir repetierten die Regeln und machten uns auf den Weitermarsch... in der einen Hand mit einem Stock, in der anderen mit einer leeren Petflasche bewaffnet.
Zum Glück aber gehörte die Cobra wie der Orca auf der Península Valdés vermutlich zur Rasse der "animais escondido", ich sah auf jeden Fall nichts. Pech für die Kamera, zugern hätt ich das festgehalten... wobei, ob ich in dem Moment die notwendige Musse gehabt hätte, ist fraglich ;)
Der Rest des Tages, ja sowieso die nächsten eineinhalb Tage sind schnell erzählt: Swissmimgpool, Hängematte, Strand, Meer, viel Wolken, noch mehr Mücken, Victor, Schlafen.
Am Dienstag reiste ich wieder ab von der Insel, der Abschied fiel mir schwer. Die Chefin hatte wässerige Augen nach der Umarmung und das Verabschieden von Victor ging mir ans Eingemachte. Hinzu kam, dass sein Papa - as Erinnerung: wir hatten über all die Tage ca. 10 Wörter ausgetauscht - mir auf dem Weg zum Taxi hinterherrannte und mit mir noch den Handschlagabschiedsgruss machen wollte, welchen ich mit Victor (er muss Papa den Ablauf beigebracht haben) entwickelte. Vonwegen Eifersucht! Ich war gerührt.
Auf dem Rückweg nach São Paulo stieg ich in Boiçucanga aus, um hier nochmals die Seele etwas baumeln zu lassen. Morgen mal schauen, was es hier so gibt...
Nachtrag
Eine der Veränderungen, welche beim Alleinreisen mit Unsicherheit verbunden war, ist das Rücken-Eincrèmen. Doch bis jetzt hatte ich Glück und fand immer jemanden im Hostal (Marcus, die Chefin und die Mama von Victor mussten herhalten ;)). Es wurde zwar meist etwas lieblos aufgetragen, aber scheinbar effektiv, verbrannt hatte ich mich nie. 👌🏻
Eine weitere Veränderung: Brasilianer (zumindest die beiden Familien hier, wohl noch keine repräsentative Stichprobe) haben nicht wirklich ein Auge für fotografische Inszenierung 🙈 praktisch jedes Mal, als ich ein Foto von mir delegieren wollte, musste ich trotzdem noch Selfies nachschieben: Extremitäten abgeschnitten, Hintergründe ignoriert, kein Fokus, Gegenlicht, ... vielleicht sind auch einfach meine Ansprüche zu hoch ;)